Weihnachten – innere Freiheit trotz unfreiwilliger Gefangenschaft

 

20. Dezember 2025

 

Lieber Florian,

ich schreibe Dir in dem vollen Bewusstsein, dass Du Dich seit dem 19. Mai 2025 nicht aus freiem Entschluss, sondern unfreiwillig in der JVA Offenburg befindest. Diese Tatsache darf nicht verschwiegen, nicht beschönigt und nicht geistlich übergangen werden. Unrecht beim Namen zu nennen ist kein Mangel an Frieden – es ist oft seine Voraussetzung. Ich kann nur erahnen, was es heißt, durch äußere Gewalt festgesetzt zu sein, ohne innerlich zugestimmt zu haben. Gerade deshalb bin ich überzeugt: Der entscheidende Kampf wird nicht an Türen und Mauern geführt, sondern im Inneren des Menschen.

Für jemanden, der unfreiwillig eingeschlossen ist, hat die Zeit im Dezember ein besonderes Gewicht. Die Stille ist nicht gewählt, sie ist auferlegt. Und doch kann gerade diese erzwungene Stille zu einem Ort werden, an dem Wahrheit, Würde und Selbstachtung klarer hervortreten als im Lärm der Freiheit. Die Straßen glitzern, die Fenster leuchten – Du siehst sie vielleicht nicht. Aber irgendwo zwischen dem ersten kalten Atem der Nacht und dem warmen Licht einer Kerze geschieht etwas Unscheinbares: Du wirst innerlich still. Und in dieser Stille darfst Du Dich daran erinnern, dass Dein Wert nicht an Deine Bewegungsfreiheit gebunden ist.

Man kann einem Menschen alles nehmen – außer seine innere Haltung. Du bist nicht dort, weil Du es wolltest. Aber Du bist dort als der, der Du bist. Kein Urteil, kein Vollzug, keine Akte kann Dir Deine innere Souveränität nehmen, solange Du sie nicht selbst preisgibst. Das ist keine billige Vertröstung, sondern eine nüchterne Wahrheit.

Gerade in solchen Zeiten tragen Worte, die größer sind als unsere eigenen. Worte, die aus Leid geboren wurden und dennoch nicht verbittert sind. Vielleicht kennst Du sie:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Diese Gewissheit ist kein Gefühl, das man erzwingen kann. Sie ist eine Haltung: sich getragen zu wissen, auch dann, wenn nichts dafür spricht. Noch quält das Alte die Herzen, noch drückt die schwere Last böser Tage. Das darf benannt werden. Und zugleich darf darum gebeten werden, dass die aufgeschreckte Seele wieder zu dem findet, wozu sie geschaffen ist: zum Heil, nicht zur Verhärtung.

Manchmal wird einem der schwere Kelch gereicht, bitter gefüllt bis an den Rand. Niemand sucht ihn. Niemand muss ihn schönreden. Aber es liegt eine tiefe Würde darin, ihn nicht aus Hass, sondern aus innerer Aufrichtigkeit anzunehmen – ohne Zittern, ohne sich selbst zu verleugnen. Auch das ist Freiheit.

Und wenn Dir – vielleicht unerwartet – noch einmal Freude geschenkt wird, ein heller Gedanke, ein warmer Moment, ein inneres Aufatmen, dann darfst Du ihn annehmen, ohne Schuldgefühl. Dann darf auch das Vergangene seinen Platz haben, ohne Deine Gegenwart zu vergiften.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die Dir in diese Dunkelheit gestellt sind. Sie sind klein, aber sie sind wirklich. Und selbst wenn Zusammenführung noch nicht möglich ist: Das Licht ist da. Es scheint in der Nacht – unabhängig von Mauern und Zeitplänen.

Wenn sich die Stille tief um Dich breitet, dann ist sie nicht leer. Vielleicht kannst Du in ihr jenen vollen Klang erahnen, der größer ist als das Sichtbare: die Verbundenheit aller Menschen, die leiden, hoffen, standhalten. Du bist nicht außerhalb dieses Kreises.

Weihnachten ist kein Datum.
Es ist ein Gefühl.
Ein leises Wiederfinden dessen, was Dich trägt, auch wenn Du es fast vergessen hättest.

Vielleicht war dieses Jahr schwerer, als Worte es fassen können. Vielleicht hat es Dich mehr gekostet, als ein Mensch je tragen sollte. Vielleicht bist Du Wege gegangen, die niemand gesehen hat, und hast Entscheidungen getroffen, die still geblieben sind – auch, weil man Dir keine Stimme gegeben hat. Aber genau das weiß Weihnachten. Es kennt das Ungesagte. Es kennt das Durchhalten ohne Applaus. Es kennt die Hoffnung, die nicht laut war, aber geblieben ist.

Und genau deshalb kommt es nicht mit Forderungen.
Es kommt mit einer Einladung.

Du darfst loslassen, was Dich hart gemacht hat – nicht aus Schwäche, sondern aus Selbstschutz.
Du darfst behalten, was Dich weich hält – Deine Empfindsamkeit, Deine Würde, Dein inneres Maß.

In dieser Zeit erinnern wir uns an Menschen. An manche, die geblieben sind. An manche, die gegangen sind. Und an manche, die immer noch da sind – in uns. Liebe verschwindet nicht. Sie verändert nur ihre Form. Manchmal wird sie stiller. Aber nie schwächer.

Ich war letztens bei Joachim zu Besuch. Er denkt intensiv an Dich und lässt Dir auf diesem Weg einen herzlichen Weihnachtsgruß ausrichten. Auch mein Bruder denkt an Dich und lässt Dich – noch unbekannterweise – ganz herzlich grüßen. Solche Zeichen mögen klein erscheinen, doch sie bezeugen etwas Wesentliches: Du bist im Denken und im Herzen anderer gegenwärtig.

Vielleicht sitzt Du heute allein in Deiner Zelle. Vielleicht bist Du umgeben von Geräuschen, Schritten, Stimmen – und fühlst Dich dennoch gesammelt und klar. Beides ist erlaubt. Weihnachten fragt nicht, ob Deine Situation gerecht ist. Es fragt, ob Du Dir erlaubst, Mensch zu bleiben.

Es liegt eine besondere Hoffnung in dieser Nacht. Nicht die Hoffnung, dass alles sofort anders wird. Sondern die Hoffnung, dass alles seinen Platz findet. Dass das, was Dir widerfahren ist, Dich nicht definiert. Und dass das, was kommt, Dich nicht brechen muss.

Manchmal glauben wir, Hoffnung müsse laut sein. Doch oft ist sie ein stiller, fast unbeobachteter Entschluss: weiterzugehen, ohne innerlich zu verbittern. Noch einmal zu vertrauen – nicht blind, sondern wach. Noch einmal offen zu bleiben, ohne sich auszuliefern.

Von guten Mächten wunderbar geborgen, darfst Du getrost erwarten, was kommen mag. Nicht, weil alles gut ist. Sondern weil Du nicht allein bist – am Abend, am Morgen und an jedem neuen Tag.

Möge dieses Weihnachten Dich sanft erreichen. Nicht als Lärm, sondern als Gewissheit. Nicht als Druck, sondern als Frieden.

Frohe Weihnachten 2025.
Möge Hoffnung in Dir wohnen – ruhig, standhaft und genau zur richtigen Zeit.

 

In aufrichtiger Verbundenheit

Peter

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